Tischmanieren. Das kann ja nur im Streit enden. Oder in einem nie enden wollenden Lachkrampf.
Tischmanieren der Kinder – Blogparade
Ein spannendes Thema hat sich Sonnenshyn da ausgedacht. Tischmanieren. Nicht bei Erwachsenen, sondern bei Kindern. Kann das überhaupt gut gehen?
Was sagt denn Knigge?
Ich hab mir jetzt nicht extra das Knigge-Buch besorgt, um hier mitschreiben zu können. Wenn ich ehrlich bin, wäre es in meinen Augen auch reine Geldverschwendung gewesen.
Im Internet habe ich zu diesem Thema selten blödsinnige Knigge-Regeln gelesen.
- Nicht schmatzen
- Den Teller nicht zu voll laden
- Besteck nicht ablecken
- Nicht zu schnell und nicht zu langsam essen
- Ellenbogen vom Tisch
- Gerade sitzen
- Nicht über dem Teller hängen
- Gemeinsamer Beginn
- Gemeinsames Ende
- Spielen am Tisch ist tabu
- Kinder müssen auch Unbekanntes essen
- „Bitte“ und „Danke“ sagen
- …
Die Liste könnte endlos so weitergehen und würde immer verrückter werden. Und ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.
Wenn mir jemand mit solch abstrusen Regeln daher kommt, frage ich mich immer: Warum?
Warum Tischmanieren?
Das Ziel dahinter mag ja ganz nett sein. Dass den Kindern ein respektvoller Umgang mit dem Essen beigebracht wird.
Aber wenn mir jemand wie Knigge oder sonstwer so kommt: „Ein Kind muss (…)“, dann höre ich schon gar nicht mehr hin.
Laut Knigge darf ein Kind beispielsweise nicht beim Essen spielen, weil es lernen muss, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Schließlich muss das Kind ja auch später in der Schule lernen, sich auf einen Lehrer zu konzentrieren und sich nicht ständig ablenken zu lassen.
Ich könnte jetzt natürlich erstmal eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Schulen im Allgemeinen vom Stapel lassen, aber darum geht es ja heute nicht. Kommt dann in einem anderen Artikel – versprochen!
Der Sinn hinter solchen Regeln ist meist der Gedanke, ein Kind müsse erzogen werden. Weil es sonst ein total egoistischer, fieser, asozialer Tyrann werden würde.
Ein Kind muss in die Gesellschaft eingegliedert werden. Ein Kind muss sich anpassen. Ein Kind muss sich einfügen. Es muss funktionieren und parieren und tun, was man ihm sagt. Nur so wird aus einem Kind ein anständiger, gesitteter Mensch.
Bullshit!
Ja, da vergesse ich mich auch mal ganz gern und werde ausfallend. Warum?
Weil sich irgendjemand so einen Schmarrn ausgedacht hat und nun anderen Familien mit besagtem Schmarrn das Leben schwer macht. Weil das Leben mit Kindern ja sonst so entspannt und harmonisch läuft und man keine anderen Probleme hat. Wird das jetzt ein Rant? Ich versuch mich zu beherrschen.
Aber jetzt mal ganz ehrlich. Man muss „Bitte“ und „Danke“ sagen? Bringt man damit seinem Kind tatsächlich ehrlich gemeinte Dankbarkeit bzw. Höflichkeit bei? In meinen Augen nicht. Das kommt – wie so oft – bei guten Vorbildern von ganz allein. Das sehe ich bereits bei meinem 2-jährigen Sohn, der grüßt und sich verabschiedet, Bitte, Danke und Gesundheit sagt und sich neuerdings auch entschuldigt.
Was mich stört
Ganz ernsthaft? Ich HASSE es, wenn jemand in meiner Nähe isst und schmatzt. Und sei es mit geschlossenem Mund. Das Geräusch, wenn jemand sein Essen kaut… Ich könnte explodieren und werde ganz wütend! Warum?
In den Ferien waren meine Schwester und ich immer mit unseren Großeltern an der Ostsee. Das war superschön! Der Himmel auf Erden sozusagen.
Aber beim Essen… Da wurde ich immer richtig wütend. Ich saß neben meiner Oma in der Ecke des Tisches und war fertig mit dem Essen. Ich wartete, dass sie fertig wurde. Sie schmatzte (mit geschlossenen Mund) und machte mich raaaasend. Irgendwann fragte ich dann, ob ich schon aufstehen dürfe. Zum Glück durfte ich. Ich hätte für nichts mehr garantieren können, hätte ich nur eine Sekunde länger dort sitzen müssen.
Ich glaube, das hat sich so bei mir eingebrannt. Ich kann es nicht ertragen. Nicht bei Kindern, die ihr Essen genüsslich schmatzend einnehmen. Nicht bei Erwachsenen, die einfach nur ihr Essen essen.
Und weißt du was? Das ist mein Problem!
Wenn jemand sein Essen mit geschlossenem Mund kaut, dann was? Soll ich ihm das Kauen verbieten?
Wenn mich etwas so wahnsinnig macht und auch irgendwo irgendwie triggert, dann muss ich gehen. Ganz einfach. Ich entferne mich ein wenig und es geht allen gut. Oder ich summe leise vor mich hin. Und wenn ich nicht singen will, mach ich Musik an. Das übertönt das grauenvolle Geräusch und ich kann bei meinen Liebsten bleiben. Aber das ist ja dann auch wieder ein Tischmanieren-No-Go!
Unsere „Regeln“
Knigge hat seine Regeln. Andere haben ihre. Wir haben unsere. Hier sind sie:
1. Jede/r isst, wo sie/er das gern möchte
Manchmal sitzen wir alle gemeinsam am Tisch und essen. Manchmal sitzt der Kleine aber auch gern auf der Couch und isst dort. Wenn ich möchte, leiste ich ihm dort Gesellschaft oder bleibe eben am Tisch sitzen. Oder wir sitzen mal auf dem Boden und essen dort einen Happen. Ist auch mal ganz nett. Schonmal ausprobiert?
2. Wer Hunger hat, isst was
Es ist okay für uns alle, wenn wir zu unterschiedlichen Zeiten mit dem Essen beginnen. Manchmal hat der kleine Mann einfach keinen Hunger. Darf ich dann etwa nichts essen? Oder soll ich ihn, obwohl er satt ist, zum Essen zwingen?
Obwohl es bei uns schon Abendbrot gab, hat der Kleine spät Abends nochmal Hunger und will eine Stulle. Und, lieber Knigge? Darf ich das? Hey, Moment mal. Was frage ich dich eigentlich? Mein Kind hat Hunger. Ich gebe ihm natürlich etwas zu essen. Denn es hat Hunger! Hunger! Grundbedürfnis! Was interessieren mich da deine lächerlichen Regeln?
3. Wir essen, worauf wir Appetit haben
Aktuell schleckt der kleine Mann liebend gern Tomatenmark. Es gab auch mal Zeiten, in denen er zum Frühstück saure Gurken wollte. Ich esse auch mal ganz unkonventionell Kartoffelsalat zum Frühstück. Mein Mann erzählte mir, er habe als kleiner Junge einen unbändigen Appetit auf frischen Fisch zum Frühstück gehabt. Also gab es für ihn frischen Fisch zum Frühstück.
Haben wir deshalb keinen Respekt vor dem Essen oder keine Tischmanieren? Zählt das überhaupt noch mit rein? Für uns zumindest nicht. Für uns ist es das Signal vom Körper, dass er das gerade braucht.
4. Hier muss nichts probiert werden
Laut Knigge muss auch Unbekanntes probiert werden. Gebietet die Höflichkeit und so.
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass das krank ist, so etwas zu verlangen, und auch krank macht!
Als Kind musste ich einmal Rosenkohl probieren. Ich wollte nicht. Und ich durfte den Tisch nicht eher verlassen, bis dass ich diesen bescheuerten Rosenkohl probiert hatte. Obwohl ich alles andere gegessen hatte und wirklich keinen Rosenkohl probieren wollte. Mein Gefühl sagte mir einfach, dass der nicht schmeckt.
Mir wurde also das eigene Körpergefühl abgesprochen und über meinen Willen hinweg entschieden. Ich aß also diesen Rosenkohl, damit ich gehen durfte, während alle anderen schon den Platz verlassen hatten. DAS ist auch keine Manier. Mich zum Essen zu zwingen, ist Gewalt! Und hat meine Abneigung gegen Rosenkohl bis heute erhalten.
Diese Regel habe ich jetzt als Mutter mit Freude in die Tonne gekloppt. Mein Kind darf sein Körpergefühl gern behalten. Es wird genau wissen, was es braucht. Dazu muss ich es nicht zwingen. Ich biete an, und mein Kind nimmt sich davon, was es braucht.
5. Aufessen ist kein Muss
Isst du deinen Teller auch immer brav leer, obwohl du schon satt bist? Ich schon.
Der Grund liegt in meiner Kindheit. Fürs Aufessen wurde ich gelobt. Wenn ich aufesse, scheint die Sonne. Wenn ich aufesse, gibt es Nachtisch. Wenn ich aufesse, freuen sich alle. Also aß ich, bis ich fast platzte.
So ist es auch heute noch. Ich habe mein Körpergefühl völlig verloren. Ich spüre, dass ich satt werde, aber esse trotzdem weiter. Alles Konditionierung. Ich versuche dagegen anzukommen, indem ich z.B. Kinderportionen bestelle, wenn wir ausgehen. Oder eben einfach versuche, etwas liegen zu lassen bzw. mir erst gar nicht so viel aufzuladen.
Aber ich bin erwachsen. Mein Kind kann das m.M.n. noch gar nicht einschätzen. Wie viel brauche ich, bis ich satt bin? Was passiert mit dem Essen, das ich nicht mehr schaffe? Was ist Verschwendung? All das wird er noch lernen. Aber nicht von heute auf morgen. Von daher gilt bei uns: Es muss nicht aufgegessen werden.
6. Spielen ist erlaubt
Wenn wir im Restaurant sind, ist der Kleine schneller mit dem Essen fertig als wir. Kleinerer Magen und so. Und auch nicht wie wir so konditioniert, dass man bis kurz vorm Platzen is(s)t, sondern bis man satt ist.
Der kleine Mann möchte dann spielen. Auto droht von Klippe (sprich: Tischkante) zu stürzen. Ich spiele dann das fast abstürzende Auto. Der kleine Mann rettet es.
Das muss jede/r für sich entscheiden. Ist mir das zu hektisch, nebenbei noch zu spielen? Dann muss man dieses Bedürfnis eben schützen und für seine persönliche Grenze einstehen.
Wenn ich mit meiner Familie ins Restaurant gehe, lasse ich mich aber darauf ein. Für uns klappt das so ganz gut. Und wenn ich mal nicht will, dann darf der Papa das Auto zur Klippe fahren.
Zu Hause ist es dann so, dass der kleine Mann spielen gehen kann und wir in Ruhe zu Ende essen können. Wenn er unsere Gesellschaft möchte, und wir nix dagegen haben, nehmen wir unser Essen mit zu ihm und leisten ihm Gesellschaft, während er spielt.
Was Papa stört
Ich fragte meinen Mann, welche Tischmanieren für ihn wichtig sind. Er überlegte kurz und meinte, er mag es nicht, wenn jemand mit offenem Mund isst und man sein Gekautes sehen kann.
Auf meinen Einwand, er könne ja einfach weg gucken, erwiderte er, dass er sich ja mit der Person unterhalten will und folglich auch ins Gesicht schauen muss. Er könne also nicht einfach wegsehen.
Ich hätte jetzt noch sagen können, dass er ja in die Augen und nicht in den Mund gucken kann. Aber ich weiß schon, was er meinte. Manchmal lässt sich der Blick nicht abwenden, obwohl es so schrecklich anzusehen ist.
Sonstige Regeln
Den Rest fasse ich jetzt mal ganz grob unter „Sonstige Regeln“ zusammen. Es ist wurscht, wie jemand beim Essen sitzt, wo sich Ellenbogen und Hände befinden und ob geschwiegen oder sich unterhalten wird.
Klirrendes Geschirr ist m.M.n. unvermeidbar, aber Knigge besteht darauf. Soll er doch, solange wir es nicht müssen.
So. Jetzt sind wir wahrscheinlich bei Knigge durchgefallen und bis zu unserem Lebensende gebrandmarkt. Aber ganz ehrlich: Es gibt wichtigeres im Leben. Essen darf ruhig Spaß machen und frei von starren Regeln sein, die uns einengen und nicht zu uns passen.
Ich denke, wenn wir nur alle immer mit gutem Beispiel vorangehen, dann werden uns die Kleinen schon noch nacheifern.
Ganz herzlichen Dank für deinen wunderbaren Beitrag. Auch für deine Offenheit! Es ist schade, was du erleben musstest als Kind. Umso schöner finde ich es, wenn du bei deinen Kindern anders vorgehst.
Es klingt sehr entspannt und schön. 🙂
Sonnige Grüße.
Liebe Shy,
es hat mir sehr viel Spaß gemacht, an deiner Blogparade teilgenommen zu haben 🙂
Freut mich, dass dir der Beitrag gefällt.
Vielleicht lesen wir in einer nächsten Blogparade wieder voneinader 😉
Liebe Grüße
Julia