Nur allzu gern lasse ich andere für mich Dinge erledigen. Dabei geht es mir nicht sonderlich um Zeitersparnis oder dergleichen. Ich könnte es eigentlich selber machen. Nur traue ich es mir nicht zu. Oder schmeiße schnell hin, wenn es nicht klappt.
Falls du auch zu diesen Leuten gehörst, ist dieser Artikel genau das Richtige für dich.
Inhaltsverzeichnis
Ich kann das nicht
Es ist gar nicht lange her, da las ich den Artikel „Eure Kinder sind nicht hetero… und cis sind sie auch nicht“ von Nooborn. Hauptsächlich kotzte sie sich ein wenig aus, wie schnell wir unsere Kinder als „Junge“ und „Mädchen“ definieren und sie hiernach erziehen, anziehen usw.
Darauf will ich gar nicht näher eingehen. Mir geht es um einen ganz bestimmten Absatz in diesem Beitrag. Als sie darauf zu sprechen kam, was wir unseren Kindern vorleben. Wenn die Mutter beispielsweise den Vater bestimmte Sachen machen lässt. Weil das eben „Männersachen“ sind. Und dafür erledigt die Mama dann halt „Frauensachen“. Kocht. Putzt. Kauft ein.
Dem Kind wird auf diese Weise ein Leben vorgestellt, das nur aus Stereotypen besteht. Frauen machen „Frauensachen“. Männer eben „Männersachen“.
Ich bin genau so
Und dann hat es bei mir „Klick!“ gemacht. Zwar teilen mein Mann und ich uns den Haushalt usw. Aber oft lasse ich ihn Dinge erledigen, die ich eigentlich selber machen könnte. Oder beginne keine neuen Sachen, weil ich mir sage „Ich kann das nicht.“ Hier ein klassisches Beispiel: Der Umgang mit dem Bohrer.
Ich und bohren? Um Himmels Willen! Ich doch nicht! Das Witzige: Mein Mann lernte, wie ich, ebenfalls nicht, mit einem Bohrer umzugehen. Als es jedoch nötig wurde, um unsere Wohnung wie eine Wohnung aussehen zu lassen, lernte er es einfach. Ich hingegen bin immer noch auf der Stelle stehen geblieben und weiß bis heute nicht, wie das mit dem Bohren geht. Dabei kann das doch nicht so schwer sein oder?
Und so liegt seit Wochen ein Motorikbrett bei uns rum, das an die Wand gebohrt werden muss. Der Mann hat keine Zeit, deshalb bleibt es liegen. Und ich… ja… ich… was ist eigentlich mit mir? Naja, ich kann das doch nicht…
Und so könnte ich die Liste endlos weiterführen. Der springende Punkt dabei: Ich weiß gar nicht, ob ich es kann. Oder nicht kann. Denn ich versuche es ja gar nicht erst.
Oft ertappe ich mich dabei, dass ich etwas von vornherein ablehne und nicht mache. Weil ich es eben nicht kann. Mir nicht zutraue.
Wenn ich dann doch mal etwas beginne, dann breche ich es schnell wieder ab. Es klappt nicht wie geplant. Ich bin zu ungeduldig und will alles sofort können. Und wenn es eben nicht von Anfang an perfekt ist, lasse ich es stehen und liegen. Suche nach Neuem, das ich beginnen und mittendrin damit aufhören kann.
Woran liegt das?
Ich habe mir die Frage gestellt: Wenn mir auffällt, wie ich mich verhalte, warum ändere ich es dann nicht einfach? Woher kommt dieses Verhalten überhaupt?
Mund zu
Und ich kann es natürlich nur behaupten und nicht beweisen, wenn ich sage, dass dieses Verhalten schon früh gewurzelt haben muss. Es wurde mir so beigebracht. In so vielen Dingen.
Wenn ich geweint habe und mit Spielsachen abgelenkt wurde. Wenn mir der Schnuller in den Mund geschoben wurde, obwohl ich einfach nur mal Dampf ablassen wollte. Oder sagen wollte, dass ich Hunger habe. Liebe brauche. Ich lernte, dass ich es nicht Wert bin, gehört zu werden. Ich sollte still sein.
Unverständnis
Noch heute bemerke ich es bei meiner Mutter, wenn der kleine Mann mal weint, dass sie ihn gleich mit Spielzeug ablenken will. Dabei ist er gestolpert, hingefallen und will jetzt einfach nur in den Arm genommen werden. Er will weinen und getröstet werden. Wenn ich dann beobachte, wie meine Mutter ihn ablenken will, sehe ich dann immer mich im kleinen Mann und denke mir nur „Hör mir doch einfach mal zu!“
Bestrafungen
Doch so wuchs ich nunmal auf. Wenn meine Mutter mal böse auf mich war, wurde ich von ihr mit Ignoranz gestraft. Passive Aggressivität war normal bei uns. Türen knallen. Schnippische Bemerkungen. In die Ecke gestellt werden (wenn ich mich auch nur an ein einziges Mal erinnere, so es hat mich doch bis heute geprägt). Und dann „natürlich“ noch der berühmte Klaps auf den Po.
Angst
Ich hatte immer Angst, etwas Falsches zu sagen. Weil dann wieder jemand sauer auf mich ist. Mich ausschimpft. Anschreit. Ignoriert. Deshalb schwieg ich meist.
In der Schule schwieg ich auch. Obwohl ich dachte, die Antwort zu kennen, schwieg ich. Hätte ja auch falsch sein können. Und dann hätte man mich ausgelacht oder mich bloßgestellt.
Solche Gedanken kreisten damals in meinem Kopf und tun es noch heute.
Ungeduld
Ich sehe es ja beim kleinen Mann: Er will den Schlüssel selber ins Schloss stecken. Das dauert natürlich sehr lange. Sonst mache ich das lieber selber, weil es einfach schneller geht. Aber letztens ließ ich ihm Zeit. Er scheiterte oft, doch dann klappte es! Ich war zwischenzeitlich kurz davor, es selber zu machen, aber ich ließ ihn probieren. Motivierte ihn, weiterzumachen, es nochmal zu versuchen. Während ich ihn mit zitternden Knien hochhielt, damit er ans Schlüsselloch kam.
So eine Geduld gab es bei mir zu Hause nicht. Ich erinnere mich zumindest nicht. Es musste immer alles schnell gehen. Und sofort.
Es geht nicht nur darum, dass ich ungeduldig bin, weil ich ungeduldig erzogen wurde. Nehme ich all das und sehe mir an, wie ich erzogen wurde, dann kann ich mir sehr gut vorstellen, warum ich bin, wie ich bin.
Ich bin eine, die alles schmeißt. Aus Ungeduld mitunter. Ich bin eine, die nichts Neues beginnt. Oder es mittendrin abbricht. Die nicht gern ihre Meinung sagt. Aus Angst, keine Worte zu finden. Und dann als dumm dazustehen.
Wie ich als Mädchen zu sein hatte
Allgemein ist es wohl das Wort „dumm“, das mich so lähmt. Als Kind war ich in der Grundschule bei Weitem nicht auf den Mund gefallen. Ich war sehr gut in der Schule. Machte halt, was man mir sagte. Mobbte die, die nicht ins Bild passten. Ich war so eine richtige Mitläuferin. Und auch mal gern Anführerin. Immer gern auf Kosten anderer Spaß haben. Sich über andere lustig machen. Anderen so richtig schön schaden und dabei im Rücken den Halt von den Freunden spüren.
Das zeigte ich natürlich nie zu Hause. Zu Hause wurde so ein Verhalten nicht geduldet. Sondern bestraft.
Als Mädchen ging ich in den Chor und sang mit stolzer Brust. Ich tanzte. Lernte lange Texte auswendig. Sprach vor Publikum. Ich lernte wie meine Schwester Keyboard.
Und wie die Familie immer stolz war, wenn sie mich sah. Was ich wieder für eine niedliche Frisur habe. Und so hübsche Kleider. Dass ich meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten sei. Und dann auch noch meine Vorliebe für Schlager. Denn meine Mutter liebte ja auch Schlager.
Es war ein reines Schauspiel, wenn ich zurück denke. Ich war nicht ich selbst. Ich wollte immer nur gefallen. Und geliebt werden. Beachtet werden. Und nicht ignoriert und bestraft.
Wie sich das Mädchen entwickelte
Und dann kam die Zeit, in der ich alles schmiss.
Ich hatte keine Lust mehr auf Keyboard. Und hörte auf. Ich tanzte. Und schwänzte nach jahrelangem, hartem Training die Stunden. Irgendwann wollte ich gar nicht mehr hin und bat meinen Papa, mich da raus zu holen und zu kündigen. Ich sang im Chor und stieg aus. Ich trommelte und ließ es schnell wieder sein.
Ich hatte immer große, tolle Pläne. Erzählte allen davon und wurde ermutigt, das anzupacken. Aber mehr als ein Luftschloss wurde nicht draus. Ich setzte es nie in die Tat um. Keine Lust, sagte ich immer, wenn man mich nach dem Grund fragte. Oder ich hatte andere Ausreden parat. Irgendwas fiel mir immer ein, um es hinzuschmeißen.
Was ich heute denke: Ich hatte nicht „keine Lust“. Es war Angst. Einfach Angst. Bevor mir jemand sagt, dass ich es nicht kann, beende ich es lieber selber. Fange gar nicht erst damit an. So kann mir keiner schaden. Und ich bleibe unverletzt. Und stehe nicht als dumm da. Da ist es wieder, dieses Wort…
Veränderung
Und so zieht sich das wie ein roter Faden durch mein Leben und ich erkenne, dass ich etwas ändern muss. Denn ich bin jetzt Mutter. Mittlerweile von einem 2-Jährigen, den ich mit allen Mitteln anders zu erziehen versuche, als ich es kennen gelernt habe.
Denn was will ich meinem Sohn beibringen? Wie soll er die Welt sehen? Männer sind die Starken, Frauen die Schwachen? Männer sind abenteuerlustig, geschickt im Handwerk, Frauen können putzen und kochen?
Ich will meinem Sohn zeigen, dass man alles kann. Unabhängig vom Geschlecht.
Doch um ihm das zu zeigen, muss ich mich verändern. Ich muss wieder zu dem Menschen werden, der ich hätte werden können, wenn man mich gelassen hätte. Ich muss mich weiterentwickeln. Ein Vorbild werden.
Und es klingt vielleicht einfach, aber das ist es nicht. Es ist nicht leicht, sich von heute auf morgen zu ändern. Sich zu sagen: „Ab heute bin ich selbstbewusst. Und nehme alles selber in die Hand. Was ich lernen will, das lerne ich einfach.“ Eben aus dem Grund, weil ich jahrelang anders erzogen wurde.
Vorbild
Ich glaube, der einzige, der mich wirklich dazu gebracht hat, mal darüber nachzudenken, war mein Mann. Er ist so ganz anders als ich. Strotzt vor Selbstbewusstsein. Fährt anderen auch mal gern über den Mund. Macht sich auch mal unbeliebt. Ihn interessiert es nicht die Bohne, was sie denken könnten. Vor allem, wenn es um unseren Sohn geht, nimmt er kein Blatt vor den Mund.
Und das ist gut so. Er ist mir oft ein großes Vorbild. Er ist so, wie ich gern sein würde. Nicht immer, denn er ist auch nicht perfekt. Aber oft wäre ich in bestimmten Situationen gern mehr wie er.
Der Anfang
Also was tun? Und wie? Für mich ist es immer gut, in kleinen Schritten zu beginnen. Stück für Stück.
Ich habe mir jetzt zum Beispiel die Bohrmaschine und den Akkuschrauber meines Vaters ausgeliehen. Damit das Motorikbrett endlich fertig wird. Ich weiß nicht, wie man bohrt? Es gibt YouTube. Ganz einfach. Natürlich kann mir das auch mein Papa erklären. Der kann das ja…
Und letztens fiel mir auf, dass meine Mutter genau so stereotypisch denkt: Wir spielen mit dem kleinen Mann und einem Windlicht mit Tür. Die Tür scheint nicht richtig zu schließen. Meine Mutter sagt „Das muss der Opa nachher reparieren.“ Und ich so „Warum? Können wir das nicht auch?“ Wir drehen und zuppeln ein bisschen und es klappte. Ganz einfach.
Oder ein weiteres Beispiel: Mein Vater ist gerade schwer im Garten beschäftigt. Meine Mutter geht mit meiner Oma im Garten spazieren und zeigt ihr die Blumen. Dann kommt der kleine Mann und sagt „Opa Feuer aus.“ (Vorhin war die Feuerschale noch an; jetzt ist sie aus.) Und meine Mutter sagt „Opa! Du musst Feuer machen!“ Nachdem sie das dann zum zweiten Mal rief, meinte ich zu ihr, dass sie das doch auch machen könne. Der Opa sei doch gerade beschäftigt (sie hingegen nicht). Am Ende machte trotzdem der Opa Feuer.
Was ich fortan mache? Ich mache das Feuer einfach selber an. Ist auch nicht so schwer.
Seitdem ich diesen Artikel gelesen habe, fällt es mir wirklich sehr stark auf. Wir Frauen können die Dinge genau so gut auch selber machen. Und nicht immer darauf warten, dass die Männer das für uns erledigen.
Wenn ich also meinen Mann um etwas bitten möchte, dann stelle ich mir erst einmal die Frage: Könnte ich das vielleicht auch selber machen? Anders herum können Männer genau so denken: Kann ich das vielleicht auch selber machen? Warum bitte ich gerade jetzt meine Frau darum?
Es ist nie zu spät
Und auch, als ich das Indianerkostüm für den kleinen Mann nähen wollte, kam da wieder dieses „Ich kann doch nicht nähen!“ Nun kann ich ja wirklich nicht von heute auf morgen nähen lernen. Also suchte ich mir Hilfe. Und fand sie bei meiner Oma. Und die zeigte mir, wie einfach es eigentlich ist. Ich habe immer so viel „Angst“ davor. Dabei gibt es gar keinen Grund, Angst zu haben.
Meine Oma machte mir so viel Mut, dass ich mich noch am selben Abend hinsetzte und lernte, einen Knopf anzunähen. Das klingt vielleicht nach Pillepalle, aber ich war so stolz auf mich. Plötzlich war der Lieblingsschlafanzug des kleinen Mannes repariert.
Und so geht das immer weiter. Solange man sich nur immer für etwas begeistern kann. Solange einen irgendetwas fasziniert. Man kann es lernen, wenn man es will. Es ist nie zu spät dafür.
Und wenn auch in dir dieses Gefühl von „Ich kann das nicht“ hochkommt, dann denk an diesen Beitrag. Versuch herauszufinden, woran das liegt. Warum du so denkst. Und versuch es abzuschütteln. Es bringt dich nicht weiter, sondern steht dir ewig im Weg. Und frustriert ungemein.
Versuch es. Such dir Rat im Internet oder bei anderen Menschen. Sag dir, wenn du es nicht kannst, dann wirst du es bald können. Denn ganz sicher ist es keine Frage von „Bin ich ein Mann oder eine Frau?“
Was wolltest du schon immer mal lernen und hast es bisher noch nicht gewagt?