Das Thema ist für viele schon ein alter Hut. Dass es Dinge gibt, die nur Jungs machen sollten. Und Dinge, die eben nur Mädchen machen sollten.
Ich denke anders darüber und deshalb erzähle ich euch mal davon.
Mein Sohn mag Mädchensachen
Vor nicht allzu langer Zeit wurde der kleine Mann 2 Jahre alt. Doch was sollte es für ein Geschenk sein? Wofür interessiert er sich denn gerade? Wir grübelten. Feuer. Feuerwehr. Indianer. Beim Kochen hilft er immer total gern mit. Ja! Natürlich! Wir schenken ihm alle eine kleine Küche zum Kochen!
Wirklich alle fanden die Idee einer kleinen Küche perfekt. Die Oma erklärte sich bereit, nach einer passenden Küche zu suchen. Ich lehnte mich zurück und war froh.
Doch dann meldete sich der sonst schweigsame Opa zu Wort. „Eine Küche?! Der braucht keine Küche, sondern Hammer und Bohrer!“
Falsche Vorstellungen
Von den anderen bekam der Opa erst einmal deutlich zu hören, dass ein Junge sehr wohl eine Küche haben darf und dass da gar nichts bei ist. Und so wurde er überstimmt und zum Geburtstag gab es dann wie geplant eine wunderschöne Holzküche* für den kleinen Mann. Die er übrigens hammermäßig toll findet! Doch die Worte meines Vaters klangen bei mir noch nach…
Es ist ein alter Hut, dachte ich. Angeblich sollen Jungs die abenteuerlustigen, frechen, cleveren, gewitzten, intelligenten Bastler sein. Mädchen hingegen die schüchternen, schweigsamen, kreativen Bücherwürmer. Ist doch alles alter Käse! Oder?
Mein Vater hat mir gezeigt, dass es eben doch noch in manchen Köpfen so aussieht wie oben beschrieben. Jungs dürfen nicht mit Puppen spielen. Das sind Mädchensachen. Da verweichlichen die ja total! Mädchen dagegen sollten das Klettern auf Bäumen lassen. Sonst machen sie sich noch schmutzig. Und Damen machen das schon gar nicht! Die sollen mal Nähen und Kochen lernen.
Es macht mich wütend, wenn ich mit solch Klischee behafteten Gedanken konfrontiert werde. Ich empfinde es als Angriff auf die persönliche Freiheit unseres Sohnes. Als versuche jemand, ihn zurecht zu schneiden. In eine Rolle zu drängen, die auf veralteten Vorstellungen beruht. Auf sexistischen Vorstellungen.
Mädchen werden wie Jungen in eine Rolle reingepresst. Jungs tragen blau und Mädchen rosa. Schwert und Ritterrüstung für die mutigen Helden. Zauberstab und Einhorn für die süßen Fräuleins. Doch das Kostüm passt nicht jeder bzw. jedem. Es zwickt, es engt ein und nimmt ihnen die Luft zum Atmen.
Warum können wir nicht einfach sein, wer wir wollen und anderen auch diese Freiheit lassen?
Mobbing
Als Mutter habe ich Angst, dass unser Sohn irgendwann einmal gemobbt wird. Wir lassen ihn frei aufwachsen – soweit es möglich ist. Er darf in der Küche kochen. Beim Putzen und Waschen helfen. Spielen, womit er will. Tragen, was er will. Das bedeutet, dass er den ganzen Tag gern in seinem Dinoschlafanzug herumläuft. Oder rosa Seifenblasen pustet. Glitzerschuhe und nichts als Glitzerschuhe an seine Füße lässt. Die nach der letzten Marmorieraktion jetzt auch noch pink gesprenkelt sind.
Er sieht, dass sowohl Papa als auch Mama kochen, waschen, putzen, reparieren, lesen, kreativ sind usw.
So lassen wir unseren Sohn aufwachsen. Meine Angst besteht darin, wie andere Eltern ihre Kinder aufwachsen lassen. Was sie ihnen bewusst oder unbewusst beigebracht haben.
Ein Beispiel: In meiner Kita spielte ein Freund von mir gern mit Barbies. Von Autos verstand er auch jede Menge, aber Barbies liebte er. Und er spielte, wann immer ich ihn sah, mit Barbies.
Es gab einige Kinder, die ihn deshalb auslachten und sich über ihn lustig machten. Für mich war es zwar auch seltsam, einen Jungen mit Puppen spielen zu sehen. Aber ich spielte auch gern mit Puppen. Ich verstand zumindest, warum er gern mit ihnen spielte. Ich tat es ja auch. Deshalb lachte oder grenzte ich ihn auch nicht aus.
Worin bestand der Unterschied in meiner Erziehung und in der der anderen Kinder, die meinen Freund ärgerten? Wann und wie wurde ihnen beigebracht, was ein Junge darf und nicht darf? Und warum man „anderem“ Verhalten mit Ausgrenzung begegnet?
Vorbild
Wir sind alle Vorbild. Nicht nur die Eltern. Auch alle drum herum. Ich sehe, wie unser Sohn auf dem Spielplatz erst einmal die Lage checkt. Die anderen beobachtet. Und dann entscheidet, zu wem er geht, was er spielen will usw.
Wir möchten vieles direkt beibringen über beispielsweise Spielzeug, das unsere Kinder fördert. Doch ist es nur ein Teil vom großen Ganzen. Vieles geht über in Fleisch und Blut durch ständiges Beobachten, Wiederholen.
Ich sage „Scheiße“, wenn mir der Schlüssel genau vor dem Türschloss runterfällt. Oder „Hääääää?“, wenn ich verblüfft bin oder etwas nicht verstehe. Ich knabbere seit meiner Kindheit an den Nägeln, während mein Mann die nervige Angewohnheit hat, beim Reden ständig scharf einzuatmen.
Es ist in uns verankert. Es sind alte Angewohnheiten. Macken. Über Jahre verinnerlicht. Und unsere Kinder sehen es und nehmen es auf. Wenn ich eine abfällige Bemerkung über eine Frau, die ihr Baby im Kinderwagen schreien lässt, mache, dann nimmt mein Sohn das auf. Was lernt er? Was bringe ich ihm durch mein Verhalten bei? Sollte ich nicht lieber versuchen, mich in die Mutter hineinzuversetzen, um ihr Verhalten zu verstehen? Und das meinem Sohn erklären? Oder gar zu ihr gehen und ihr meine Hilfe anbieten, weil ich denke, dass sie ein Lächeln, eine helfende Hand, einen mutmachenden Spruch braucht?
Es ist an mir, es ist an uns, unser Verhalten jederzeit zu reflektieren. Und sich zu fragen: Warum verhalte ich mich so? Was lernt mein oder sogar ein anderes Kind, das mich gerade beobachtet, von mir? Was für eine Gesellschaft wollen wir sein und in welcher wollen wir bzw. sollen unsere Kinder leben?
Stark sein
Vielleicht erreiche ich einige von euch. Und sicherlich gibt es auch welche, die weiterhin an alten Werten festhalten. Deren Kinder dann eines Tages unseren Sohn auslachen, weil er sich seine Fingernägel lackiert, wie es einst mein Neffe tat.
Mein Kindergartenfreund als auch mein Neffe hatten eines gemeinsam: Es war ihnen egal. Der eine spielte weiterhin gern mit Barbies und der andere ging mit angemalten Fingernägeln in die Schule.
Ich hoffe, wir sind auf dem richtigen Weg, damit unser Sohn zu einem genau so selbstbewussten Menschen heranwachsen wird.
Ich mache mir nichts vor. Es wird immer Menschen geben, die andere ärgern, hänseln, mobben und schlimmeres. Weil sie nicht ins Muster passen. Anders sind.
Und da ich die Welt nicht ändern kann, mache ich es halt in kleinen Schritten. Versuche, Menschen von meinen Vorstellungen zu überzeugen. Dass sie ihr Bewusstsein erweitern. Nachdenken. Reflektieren. Verstehen.
Und dann wird unser Sohn – oder ein anderes Kind – wie mein Kitafreund oder mein Neffe Freunde haben, die ihm zur Seite stehen. Denen es egal ist, was angebliche Mädchensachen und Jungensachen sind. Weil sie von ihren Eltern und allen anderen gelernt haben, dass es so etwas wie Mädchensachen und Jungensachen nämlich gar nicht gibt.
Sie haben erfahren, dass sie lieber einander helfen, statt in Konkurrenz zu treten. Dass sie unterstützen, statt zu sabotieren. Gemeinschaften bilden, statt auszugrenzen. Doch das geht nur, wenn sie es von uns lernen. Nicht unbedingt durch ellenlange Vorträge wie diesen. Sondern mehr durch die Erfahrungen und Beobachtungen im alltäglichen Leben und Miteinander.
😂 Jah ich verstehe genau wovon du schreibst und die Überschrift des Artikels hat mich direkt auf die Palme gebracht. Unser Sohn ist nämlich wie sein Papa ein richtiger Gourmet-Koch und hilft auch sonst bei allem. Wirklich allem. Danke für den Artikel und das Wissen, dass es Gleichgesinnte gibt!
Liebe Maddy, vielen Dank, das freut mich sehr.
Liebe Grüße
Julia